Fotogalerie 15
Ein Streifzug durch russische und sovjetische Geschichte Seite: 1


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Teegenuss vor der Datscha um 1907

Teegenuss vor der Datscha um 1907    ( Äà÷íîå ÷àåïèòèå 1907ã. )

 

 

So oder so ähnlich lauten meist Titel zu historischen Fotos mit Samowaren, die in Büchern, Zeitschriften und dem Internet veröffentlicht werden. Weitere Details erfährt der Betrachter in der Regel nicht.

Ich betrachte mir solche Bilder immer mit großem Interesse sehr genau, gewähren sie doch einen Einblick in eine andere Zeit. Hierbei interessiert mich keineswegs nur der Samowar.

Jedes auch noch so kleine Detail erweckt meine Neugier. Mit Hilfe dieser Einzelheiten versuche ich dann, mich hineinzuempfinden in die festgehaltene Szene, gleichsam zurückzureisen in jene längst vergangenen Tage. Wie sah es damals aus? Wie waren die Menschen gekleidet? Was dachten wohl die abgelichteten Personen gerade? Wie und wo lebten sie? Was für Gegenstände außer dem Samowar wurden noch benutzt? Wie sahen sie aus?

Je mehr Details also auf solch einer Aufnahme zu erkennen sind, und je besser erhalten die Aufnahme ist, desto besser ist solch eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit möglich.

Bedauerlicherweise erfährt der interessierte Betrachter im Kommentar zum Bild fast nie Hintergründe, die das auf der Aufnahme Gezeigte ergänzen und diese somit noch lebendiger werden lassen könnten. Wahrscheinlich sind in den meisten Fällen solche Informationen im Laufe der vielen vergangenen Jahrzehnte verlorengegangen.

Im Falle der hier gezeigten historischen Aufnahme sieht das glücklicherweise etwas anders aus.

Zu sehen ist ein elegant gekleidetes Ehepaar mit seinen drei Kindern, das draußen unter freiem Himmel an einer gedeckten Teetafel sitzt. Die beiden Söhne tragen sogenannte Matrosenanzüge, was damaliger Mode entsprach.

Das zentrale Element auf dem Tisch bildet ein hochglanzpolierter zylinderförmiger Samowar. Dieser steht auf einem ovalen Tablett, und auf ihm befindet sich eine offensichtlich einfarbig weiße abgeflachte Porzellanteekanne. Bei genauerem Hinschauen entdeckt man auf dem Tablett sogar auch die kleine Kappe, die anstelle der Teekanne oben auf die Heizröhre gesetzt wird, sobald die Glut im Samowar erlischen soll. Die Mutter betätigt gerade den Hahn und gießt heißes Wasser in eine farbige mit Margariten dekorierte Porzellanteetasse mit Untertasse. Auf dem Tisch befinden sich neben weiteren Teetassen außerdem Wassergläser, sowie in der Mitte eine Torte. Links dahinter, vor dem Jungen, steht zudem offensichtlich eine mit etwas gefüllte flache Glasschale mit hohem Fuß.

Im Hintergrund links sind deutlich die Umrisse einer Datscha zu erkennen.

Diese Datscha liegt bei Moskau. Bei der Familie handelt es sich um meinen Urgroßonkel Adolf Port, seine Frau Fanny, sowie seine drei Kinder Adolf jr., genannt Ado, Gertrud und Ernst (v.l.n.r.). Adolf Port war Kaufmann und wanderte gegen Ende des 19.Jahrhunderts von Wiesbaden nach Russland aus. In Moskau errichtete er als „Großkaufmann“ eine Textilwarenfabrik. 1898 wurde Tochter Gertrud geboren, im März 1900 folgte Sohn Ado, und im Oktober 1901 kam Sohn Ernst zur Welt.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme um das Jahr 1907 war die Welt für die Familie noch in bester Ordnung. Harmonisch ausgeglichen schauen sie denn auch in die Kamera, nicht ahnend, was ihnen alles noch bevorstehen sollte. Eine trügerische Idylle, gleichsam der eines Traumstrandes, auf den von Ferne her bereits ein Tsunami heranbraust!

Nun, wie ging es nach der Aufnahme weiter? Sieben Jahre später, 1914, begann der Erste Weltkrieg, 1917 erfolgte die Oktoberrevolution. Mein Urgroßonkel Adolf, damals 63 Jahre alt, wurde wie alle Kapitalisten enteignet. Die Familie stand von einem zum anderen Moment quasi vor dem Nichts.

Nur gut zwei Jahre später, im Januar 1920 verstarb Adolf Port. Doch damit nicht genug. Drei Monate später verstarb auch Tochter Gertrud plötzlich, noch nicht einmal ganz 22 Jahre alt.

Sohn Ado wurde Ingenieur und arbeitete in der ehemaligen Fabrik seines Vaters.
Im Jahre 1930 heiratete er im Alter von 30 Jahren in Moskau seine russische Frau Lydia.

Am 10. Februar 1935 starb Mutter Fanny 66-jährig.

1937 wurde Ados Tochter Katharina geboren, die jedoch nur ein halbes Jahr alt wurde.

Bald darauf begann der Zweite Weltkrieg, und in dessen Verlauf erfolgte die Umsiedlung der in der Sowjetunion lebenden Deutschen gen Osten. Ado wurde im Winter 1941 an den Ural nach Sredneuralsk (ã. Ñðåäíåóðàëüñê) bei Swerdlowsk (ã. Ñâåðäëîâñê) versetzt, und musste dort bis Kriegsende als Konstrukteur in einer der zahlreichen Metallwarenfabriken im Ural arbeiten. Nach Kriegsende leitete er bis zu seiner Pensionierung die technische Abteilung dieses Werkes. Die Tragik der Umsiedlung in die ferne fremde Welt des Ural wurde verstärkt dadurch, dass seine Frau sich weigerte, mit ihm dorthin zu kommen. So zerbrach denn auch noch seine Ehe.

1946 heiratete er in Sredneuralsk erneut und zwar die am 14.12.1904 in Perm/Ural geborene Frau Ekatharina Waganowa (Åêàòåðèíà Âàãàíîâà), genannt Katja, eine Witwe mit drei bereits verheirateten Töchtern.

Über Ados jüngeren Bruder Ernst (das ist der, der an der Teetafel neben seinem Vater sitzt) ist mir nur soviel bekannt, als dass er unverheiratet blieb, im 2.Weltkrieg nach Kasachstan umgesiedelt wurde und dort bald darauf Ende 1942 als „Dienstpflichtiger“ an Typhus verstarb.

In den Wirren des Zweiten Weltkrieges ging der Kontakt zu meinem Großonkel Ado verloren. Erst 1963 wurde er nach gründlichen Recherchen durch meinen anderen Großonkel Hans aus Wiesbaden wiederhergestellt. Unter schwierigen Umständen und unter ständiger Beobachtung durch die Stasi traf sich dieser Großonkel daraufhin gemeinsam mit meinen Großeltern mehrmals in den 1960er und 1970er Jahren mit Großonkel Ado in der DDR und zwar in Heiligenstadt/Thüringen und in Ost-Berlin. „Es ist für mich, als sei noch einmal die Sonne über meinem Leben aufgegangen“, waren Ados Worte bei der ersten Begegnung mit Verwandten nach so vielen harten Jahren.

Am 13. September 1977 verstarb Ado Port im Alter von 77 12 Jahren in Sredneuralsk als letztes Familienmitglied der auf der historischen Aufnahme von 1907 abgebildeten Personen.

Der Samowar, auf der Aufnahme gleich einem weiteren Familienmitglied in Position gerückt, beweist, welch hohen Stellenwert zu jener Zeit Samoware in Russland besaßen. Es war die Blütezeit der Samowarproduktion.

Was ist wohl aus diesem inzwischen 100 Jahre alten Samowar geworden? Wurde er längst verschrottet, oder existiert er vielleicht auch heute noch, liebevoll gepflegt in irgendeiner Privatsammlung? Wer weiß!

 

 


Die sechs Geschwister Port im Jahre 1885, ganz rechts Ados Vater Adolf, mein Urgroßonkel, der bald darauf
nach Moskau auswanderte und 22 Jahre später auf der Aufnahme ganz oben neben dem Samowar sitzt.
Adolf war der Älteste der sechs Geschwister.
Als er gerade 10 Jahre alt geworden war, verstarb die Mutter erst 36-jährig an einer schweren Krankheit.
Der dritte von rechts ist mein Urgroßvater Heinrich Port.

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"Die haben aber früh geheiratet", waren meine ersten Gedanken, als ich dieses Foto fand.
Doch dann las ich, dass es sich um Gertruds Erstkommunion 1911/12 handelte.
Bruder Ado, in seiner Gymnasialuniform, war ihr offizieller Führer.


Großonkel Ado und seine Frau Katja beim ersten Familientreffen in Ost-Berlin 1964.


Katja, Enkel Wolodja, Enkelin Elena und "Opa" Ado um 1963.

Teegenuss vor der Datscha um 1907

Kohle-Samowar,
Ende 19. - Anfang 20. Jahrhundert

Samoware gibt es in nahezu allen erdenklichen Formen.
Am häufigsten war zumindestens früher wohl die links abgebildete Zylinderform. Sie war einfach herzustellen und daher noch einigermaßen erschwinglich.
Häufig anzutreffen sind ferner vasen-, pokal- und weinglasförmige Samoware, sowie auch solche in Birnenform.
Etwas weniger häufig findet man kugelförmige Samoware.
Selten sind Samoware in Ei-Form, in Form eines Fasses und sogenannte Reise- bzw. Picknick-Samoware, die oft eine eckige Form besitzen und auf vier langen schmalen Füßen stehen und daher an einen alten Kohleofen im Miniaturformat erinnern.
Zwischen all den hier aufgeführten Formen gibt es auch Mischformen.